Warum willst du mich denn nicht?

Das ist ein Artikel mit Triggerwarnung.
Das Schreiben war erschütternd, berührend und heilsam zugleich.
Der Text handelt von einer klugen Frau, die einfach nur zurückgeliebt werden will. Und sich dafür fast selbst aufgibt.

Es geht dabei nicht um Scham oder Schuld.
Auch nicht um: warum-lässt-du-das-denn-mit-dir-machen.

Es geht um ein kollektives: Nie wieder.

#dontmesswithmylove

Die Auserwählte

Entschuldigung an mich selbst.

Ich kenne jede Nachricht von dir auswendig. Aber wenn ich dich vermisse, lese ich sie trotzdem wieder. Dann liege ich einfach nur auf dem Sofa rum und denke an dich.

Denn im Grunde vertreibe ich mir sowieso immer nur die Zeit, bis wir uns wiedersehen.

Weil keiner mich je so lieben wird wie du. Das sagst du ja immer. Und wenn wir zusammen sind, dann sind wir uns so nah, so verbunden, dass ich es auch fühle.

Ich wünschte, wir könnten jede Sekunde zusammen verbringen …

Weil zwei Minuten ohne dich reichen, um dich schon wieder zu vermissen. Die Zweifel schleichen sich dann ein. Geht es dir genauso? Denkst du an mich? Vermisst du mich auch? Oder bin ich dir eigentlich egal? Die Unsicherheit macht mürbe.

Also vertreibe ich mir irgendwie die Zeit. Lenke mich ab. Während ich eigentlich nur warte. Auf die nächste Nachricht von dir. Die viel zu selten kommt – und dann auch noch zu spät.

Über Umwege versuche ich wenn nötig, dich wiederzusehen. Damit du nicht merkst, wie sehr du mir fehlst, wie stark ich dich brauche. High Value Women sind frei und zeigen dir, dass sie ihr eigenes Leben leben. Sagt Instagram.

Ich sage es dir also nicht direkt. Versuche stattdessen, dir zufällig über den Weg zu laufen, ein Treffen mit gemeinsamen Freund:innen zu organisieren, dich irgendwie in mein Leben zu ziehen.

Und gerade habe ich noch an dich gedacht, da macht mein Telefon endlich Ping. Mein Herz hüpft. Hoffentlich eine Nachricht von dir!

Aber nee. Nicht du. Och Menno ... Ich öffne stattdessen die Nachricht einer Freundin. Und mein Herz fällt im freien Fall. Ein Bild. Du. Lächelnd. Auf Tinder. „Ist das nicht dein Freund?“, steht drunter. Ich brauche einen Moment, um das alles zusammenzubasteln. Das kann doch gar nicht sein! Das kannst doch nicht du sein. Das geht doch gar nicht …

Ich laufe, ziellos, hin-her, in meiner Küche, auf und ab. Ich will weg, will nicht mehr ich sein, nicht mehr hier sein. Ich brauche was. Irgendwas. Essen, Trinken, keine Ahnung. Ich weiß es selbst nicht. Weiß gar nichts mehr.

Wünsche mir, dass du hier bist, um mich ganz fest zu halten. Es soll einfach nicht mehr so wehtun! Ich halte das nicht aus. Warum denn? Bin ich nicht hübsch genug, zu dick, zu dumm, zu langweilig, nicht interessant? Habe ich dich genervt, war ich zu viel, zu wenig, nicht genug? Was habe ich falsch gemacht, warum willst du mich denn nicht?

Ich will einfach nur zu dir. Und ich will dich nie wieder sehen. Alles gleichzeitig.

Vor allem soll es aufhören, so weh zu tun.

Ich muss dich sehen. Muss mit dir sprechen. Vielleicht gibt es ja eine Erklärung. Vielleicht ist es nur ein Missverständnis.

Ich schreibe dir. „Ja. Wir müssen reden“, antwortest du. Und fragst, ob ich dich später vom Bahnhof abholen könnte. Natürlich mache ich das. Auf dem Weg kaufe ich Brot und Wein. Für dich Bier, das trinkst du lieber, das weiß ich.

Im Auto fängst du an zu reden. „Doch, ich mag dich schon noch“, sagst du. „Aber du bist halt nur eine 7 von 10 und ich verdiene eine 10 von 10“.

Und dass du eine Frau kennengelernt und dich verknallt hast, sagst du. „War ja auch nicht so ernst mit uns, oder?“, schiebst du noch hinterher.

In mir bricht alles auf. Ich halte das Steuer so fest ich kann, gucke geradeaus, tue so, als müsse ich mich auf den Verkehr konzentrieren, um mich irgendwie zusammenzuhalten. „Okay“, sage ich, als du fertig bist. Obwohl nichts, aber auch wirklich gar nichts okay ist.

Aber ich bleibe cool. Ich will ja keine Szene machen, will mir keine Blöße geben, keine Diva sein. High Value Women machen keine Dramen, sagt Instagram. Und wenn ich eine High Value Woman bin, dann willst du mich vielleicht ja doch. Ich reiße mich also zusammen, nicke, höre weiter zu. Bin froh, als wir endlich bei mir zu Hause ankommen. Und ich mir eine Flasche Wein aufmachen kann. Ich trinke. Mit dem Glas in der Hand fühle ich mich nicht mehr ganz so ausgeliefert. Das hat was von: „Der kann mich mal.“ Wie im Film.

Innerlich stehe ich völlig neben mir. Jedes Wort, jede Bewegung spult automatisch aus mir raus. Ich will keinen anderen Mann, du bist der Richtige für mich, ich weiß das. Warum siehst du das denn nicht? Was hat sie, was ich dir nicht geben kann? Ich trinke mehr Wein. Du umarmst mich. Ich schlafe mit dir.

Als die Morgensonne mich weckt, brauche ich einen Moment, um zu verstehen, wo ich bin und was passiert ist. Du bist da schneller. Löst dich mit dem ersten Augenblinzeln aus der Umarmung und ich kann es in deinem Gesicht schon sehen. Das war’s wieder. Du kippst. Ziehst dich raus, aus dem Moment, aus meiner Nähe. Dann sprichst du von der anderen Frau. Der 10/10. Die, die du schon sehr gerne wieder sehen würdest jetzt.

Innerlich verkrampfe ich. Suche nach einer Erklärung, um mich irgendwie zu halten. Wahrscheinlich kannst du einfach nicht anders, selbst wenn du wolltest. Wahrscheinlich macht dir einfach nur die Nähe Angst – ich bin dir jetzt zu nahe gekommen. Tatsächlich ist das, was wir haben, also zu viel, nicht zu wenig. Das ist ok. Ich kann auf dich warten.

Ein ganz kleiner Teil von mir durchschaut das Spiel. Fühlt sich als zweite Wahl und findet das überhaupt nicht angemessen. Und wird wütend. Am liebsten würde ich schreien. „Raus! Raus mit dir, aber sofort. Und nie, nie, nie wieder will ich dich sehen.“

Aber ich bleibe still. Ich will ja nicht, dass du wirklich gehst, auf keinen Fall will ich dich verlieren. Also mache ich dir keine Szene. Will ja nicht klammern. High Value Women biedern sich nicht an, heißt es auf Instagram.

Also schlucke ich. Wie jedes Mal.

Ich stehe auf, koche Kaffee, mache Frühstück. Dann fahre ich dich zum Bahnhof, damit du deinen Zug nicht verpasst. Weil natürlich, gerne bleiben wir Freunde! „Meld dich einfach, ich freue mich immer, wenn wir uns sehen.“

Wieder zu Hause fällt alles von mir ab. Ich breche noch im Flur zusammen. Weine. Fühle mich so allein. Mal wieder. Am Ende bin ich immer allein. Warum will mich denn keiner, was ist so falsch mit mir?

Irgendwann rettet mich mein Trotz. „Du kannst mich mal“, denke ich. „Du wirst schon noch merken, wie toll ich eigentlich bin und was du an mir hast.“

Heute Abend gehe ich erstmal aus. Lächle, tanze, poste Fotos auf allen Kanälen. Hoffe, dass du meine Posts siehst und verstehst, wie viel Spaß das Leben mit mir macht, wie frei und wie unabhängig ich bin. Wenn du mich nur einmal wirklich siehst, dann entscheidest du dich ganz bestimmt für mich.

Und weil du mich irgendwie doch ein bisschen willst und ich dich sowieso, werde ich deine Geliebte. Immer wieder überlege ich, wie wir möglichst oft zusammen sein können. Dein Geburtstag ist bald, das ist doch die Gelegenheit! Ich rufe deine Freunde an, organisiere eine Party mit ihnen gemeinsam. Du kommst mit ihr, der 10/10. Mir aber egal. Weil ich diejenige bin, die du heimlich berührst, immer wieder, zwischendurch. Das reicht mir. Das reicht mir erstmal.

Wenige Tage später rufst du mich an, bist völlig aufgelöst. Sie habe sich von dir getrennt, sagst du. Dann kommt das, was ich schon so gut kenne: Du bittest um Hilfe, ich eile herbei, tröste dich durch deinen Liebeskummer, du sagst mir, wie wichtig ich für dich bist, wir vögeln.

Ich sehe die Schleifen, ich sehe, dass ich mich im Kreis drehe – und kann trotzdem nicht anders.

Dann werde ich schwanger. Von dir. Ungeplant. Aber nicht ungewollt – jedenfalls für mich nicht. Und du freust dich auch! Wir sind glücklich, erwarten ganz gespannt unser Baby. Machen das zusammen, die Geburt, die erste Zeit. Ich kann es manchmal kaum fassen, aber das scheint es jetzt zu sein. Endlich.

Als unsere Kleine zwei Monate alt ist, fragst du mich, ob wir nicht mal ein Mediationsgespräch machen wollen. Weil du gerade beruflich unterwegs bist, müssen wir das über Zoom machen. „Damit wir als Paar wieder zusammenfinden“, sagst du.

„Wow“, denke ich, und freue mich über deine neue Beziehungsreife. Ich schalte mich in den Call, unsere Maus stillend an meiner Brust. Und du sagst: „Ich würde gern unsere Beziehung öffnen …“ Ich schlucke. Du sprichst weiter. Du willst ja gerne da sein, sagst du, für unsere Tochter. Aber sexuell würdest du mich halt einfach nicht mehr so anziehend finden.“

Ich spule mein Programm ab, nicke, schlucke, mache einfach erstmal weiter. Aber etwas in mir hat sich bewegt. Ich kann es noch nicht greifen, aber ich weiß, dass der Wind sich gedreht hat. In mir drin.

Nur die Muster kommen so schnell nicht hinterher. Also mache ich erstmal weiter wie zuvor. Sehe zu, wie du dich mit anderen Frauen triffst.

Erst als die Maus in die Kita geht, habe ich wieder ein bisschen Luft zum Atmen. Und lerne einen anderen Mann kennen. Nicht romantisch, er wird ein guter Freund. Ich erzähle ihm viel, irgendwann alles. „Willst du kurz telefonieren?“, fragt er, als er merkt, wie aufgewühlt ich bin. „Nee“, schreibe ich zurück. „Wenn wir jetzt telefonieren, muss ich eh nur weinen. Gerade kommt alles hoch, ich bin so wütend!”

„Dann genau jetzt“, antwortet er.

Und mir fallen alle Masken aus dem Gesicht. Das geht? So können Männer auch sein? Er könnte mich halten, auch wenn ich weine, schwach bin, schwierig, nicht mehr cool?

Das war’s. Das war das Zünglein an der Waage. Mehr brauche ich nicht.

Endlich packe ich meine Sachen, meine Tochter, mich selbst. Und gehe. Raus aus diesem alten, kaputten Leben. Weg von dem Mann, der mir nie was hätte geben können. Den ich eigentlich gar nicht wollen sollte, weil er überhaupt nicht gut für mich ist. Nie war.

Weil ich das alles völlig falsch gedacht habe.

Nie mehr muss ich darauf warten, dass sich jemand für mich entscheidet.
Nie wieder.

Keine einzige Szene aus diesem Text ist ausgedacht. Jede einzelne Situation – und auch die gesamte Geschichte – sind Instagram-Kommentare unter einem Post zum Thema: What did you do for a man who was not that into you?

Ich will keine Scham, keine Schuld, kein „Warum hast du das mit dir machen lassen?“ – ich will ein kollektives: We’re not alone, not wrong, not stupid. We wanted to be seen and loved, and we didn’t know how to do that without losing ourselves.

But now, we can choose differently. I’m sorry, my own past self. From now on, I’ll choose myself. And never, ever again will I allow anyone to mess with my love, my worth, or my body.