Erwischt hat sie mich. Mitten im Patriarchat, genau da, wo ich eigentlich überhaupt nicht sein will.
Eiskalt hat sie mich gekriegt, die junge Frau mit ihrem Instagram-Reel. Sie sagt darin: "Wir checken einander immer aus. Frauen andere Frauen. Das ist Teil des Patriarchats." Boom. Stimmt. Machen wir. Ich jedenfalls. Auf der Straße, im Café, im Supermarkt; egal wo, ich scanne, mustere, vergleiche. Vor allem die Körper werden abgecheckt. Die Kernfrage: Bist du schlank? Was mich daran am meisten vor den Kopf stößt: Mir war bis eben selbst gar nicht klar, dass ich das mache. Und ich will so auch gar
Ich erzähle meiner guten Freundin davon und sie stimmt sofort zu. Macht sie auch, sagt sie, und fügt hinzu: "Ich denke vor allem immer: Zumindest bin ich schlank." Das ist sie auch wirklich. Früher Model, groß, schlank, schön. Bei mir ist es eher das Gegenteil. Ich habe in meinem Leben noch nie gedacht: "Immerhin bin ich schlank." Mein Grundrauschen ist: "Wenn ich dünner wäre, wäre alles leichter." Schlanke Frauen hatten für mich automatisch ein leichteres, erfolgreicheres Leben. Dass das viel zu kurz gedacht und im Grunde Quatsch ist, weiß ich - und glaube es irgendwo tief in mir drin trotzdem. Selbst jetzt noch, wo ich mit meinem Körper wirklich und aufrichtig ausgesöhnt bin, ihn liebe, trotz aller Unperfektheiten.
Früher war ich Synchroneisläuferin in der Leistungsklasse. Wir haben mehrfach den Deutschen Meistertitel geholt und sind international gestartet. Das war - buchstäblich und auch wirklich - die goldene Seite der Medaille. Auf der anderen Seite waren Körperbilder, Gewicht, Diäten, Ernährungstagebücher Teil unseres Alltags. Kostüme bedeuten Vermessen, Kontrolle, "passen-müssen". Essen war dabei ein zweischneidiges Schwert. In der Öffentlichkeit: so wenig wie möglich. Heimlich dafür umso mehr. Aber Heimlichkeit geht selten ohne Scham und die Scham zog immer wieder die alten, neuen Schwüre mit sich:
Jede Frau, jeder Mensch schreibt seine eigene Geschichte, das weiß ich. Aber ich weiß auch, dass das kein privates Thema ist, nichts, das nur mich betrifft oder nur Sportler:innen. Es ist gesellschaftlich. Und geht uns alle etwas an. Denn unsere Körper sind nicht Zuhause. Das sollten sie sein, sind sie aber nicht. Körper sind Währung. Wir wechseln unseren Selbstwert mit unserem Körper aus, als wären beide deckungsgleich. "Hast du zugenommen?" geht deswegen direkt an die Substanz. "Du siehst toll aus, hast du abgenommen?" - spielt dasselbe Spiel. Zieht die Karte auf der anderen Seite, zielt aber genauso tief ins Mark. Berührt unsere Persönlichkeit, trifft unseren Selbstwert.
Was wir damit vor allem tun, ist dem Körper seine eigentliche Macht und Kraft zu entziehen. Dabei weiß er sehr genau, was er braucht und was nicht. Wir haben nur verlernt, darauf zu hören. Weil wir denken, dass wir es besser wüssten. Also folgt der Körper am Ende doch wieder uns - und macht dabei die meisten Flausen sogar ziemlich tapfer mit. Körper, die tausendmal hinfallen und wieder aufstehen, bis sie endlich laufen können. Die jede Zigarette mitrauchen, jedes Bier mittrinken, die Nächte durchtanzen. Die uns das erste Verliebtsein schenken, den ersten Liebeskummer überleben und sich immer wieder neu berühren lassen. Körper, die Kinder gebären, nähren, kaum schlafen - und trotzdem voller Liebe bleiben. Wie toll die eigentlich sind, unsere Körper. Vielleicht sollten wir das mal öfter denken, wenn wir in den Spiegel gucken:
Genau das ist es, was ich auch meinen Kindern mitgeben will. Weil klar, auch sie wird das Thema einholen, früher oder später, meine beiden Töchter genauso wie meinen Sohn. Alle drei werden konfrontiert werden mit Blicken, Urteilen, Zuschreibungen. Was gebe ich ihnen mit? Dass sie möglichst ins Bild passen, nicht auffallen sollen, um nicht angegriffen zu werden? Das kann's doch nicht sein. So füttere ich doch genau das weiter, womit ich eigentlich brechen will. Was dann? Dass Fürsorge für den Körper wichtig ist, das schon auf jeden Fall. Wir haben nur diesen einen, unser Leben lang. This is it. Und ein starker Körper macht auch wirklich mehr Spaß, das ist ja so. Aber: Dein Körper spiegelt nicht deinen Wert. Nie. Er folgt deiner Geschichte - und deine Geschichte ist so viel mehr als das, was von außen sichtbar ist. Und wer das nicht sehen will, wer dich nicht sehen kann, der ist nicht dein Mensch.
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